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Eines der modernen Wunder der menschlichen Zivilisation spielt sich täglich tausendfach hoch über unseren Köpfen ab. Menschen werden innerhalb weniger Stunden über größte Entfernungen von Kontinent zu Kontinent gebracht. Strecken, für die noch vor 100 Jahren Monate gebraucht wurden, legt man jetzt in einem Tag zurück, und das alles, während man sich einen Film ansieht, an einem Drink nippt oder einfach ein Schläfchen hält. Sie ahnen sicher welches moderne Wunder gemeint ist: Das Wunder der Businessklasse.
Die Businessklasse ist der fliegende Beweis, das die Menschen eben doch nicht alle gleich sind. Sie ist nicht für gewöhnliche Sterbliche, sie ist für fliegende Könige.
(Okay, dann ist die First-Class für fliegende Götter, aber wir wollen doch mal realistisch bleiben. Ich persönlich glaube, dass es die First-Class gar nicht gibt. Sie ist so eine Art Shangri-La des Business -Reisenden, ein mystisches Märchenreich, dass nur erfunden wurde, weil es einfach zu frustrierend wäre, wenn es keine Ziele mehr zu erreichen gäbe. Die First-Class, obwohl die ewige Masturbationsphantasie des Business-Reisenden, ist doch vermutlich leider nur ein schöner Wunschtraum. Der Autor ruft hiermit alle Airlines auf, ihn vom Gegenteil zu überzeugen...)
Oh, was für eine Wohltat, schon vor dem Einchecken zu spüren, dass die Welt in „wir hier oben“ und „ihr da unten in der Knüppel-Klasse“ eingeteilt ist. Während man über den weichen roten Teppich schreitet, vorbei an den endlosen Schlangen des einfachen Volkes, direkt nach vorn zum Schalter, spürt man die neidischen Blicke im Rücken. Der erfahrene Business-Reisende nutzt die Gelegenheit, um dem Volk salbungsvoll zu winken und ihm so für einen Moment die Illusion zu geben, ein wenig an der eigenen Größe teilhaben zu können. Manche treten sogar an die Schlange der Wartenden heran um hier und da ein paar Hände zu schütteln und Babys zu küssen. Doch davon sei entschieden abgeraten, es würde die Massen nur in falscher Vertraulichkeit wiegen.
Nachdem wir nun den in Gold geprägten Bordpass erhalten und flinke Hände unsere vier Tonnen Übergepäck eifrig und dienernd auf den von Musikanten mit Schalmeien begleiteten „Priorty-Baggage“-Wagen gehievt haben, schreiten wir in die Lounge. Dies ist eine Art Olymp unter den Wartehallen; der Garten Eden des untätig Rumsitzenden, wo leicht bekleidete Jungfrauen den männlichen Gast mit Weintrauben füttern, und gut gebaute Unterhosenmodels den weiblichen Reisenden Schmeicheleien ins Ohr träufeln. Dort harren wir dem unweigerlich verzögerten Abflug entgegen.
Das einfache Volk klagt bereits beim Einsteigen über Rückenprobleme. Das ist kein Wunder, denn schließlich haben sie versucht, die vier Stunden Wartezeit „bequem“ quer über drei Sitzschalen zu liegen, die gehässigerweise so geformt sind, dass ein anatomisch normal gebauter Mensch eben genau dieses nicht tun kann. Währenddessen schreien rings herum hysterische Kinder und 180 Personen werden, genervt vom ewigen Warten, unweigerlich immer aggressiver. Doch da – ein Fanfarenstoß erschallt und es naht: der entspannte Businessreisende, begleitet vom Präsidenten der Fluggesellschaft, der sich katzbuckelnd vielmals für die Verspätung entschuldigt. „Halt!“ erschallt es dann, wenn er sich dem Einstieg nähert, „Auf die Seite, Plebejer, macht Platz für den hohen Herren!“ ...Und dann darf sich niemand aus der unteren Klasse bewegen, weil zuerst der hohe Gast die Maschine betreten muss.
An Bord dann – oh und ah – ein Sitzplatz, der dem Kommandosessel der Enterprise nachempfunden wurde. Eine Vielzahl von Schaltern, Hebeln und Knöpfen, alle dienen nur dem einem Zweck: dass es dem Gast auf der langen Reise wohl ergehe und er die Zumutung, dass die Gesellschaft ihm kein Privatflugzeug zur Verfügung stellt, gnädig verzeihe. Schnell ein Gläschen Champagner vor dem Abflug, welches der Reisende auch um 10.00 Uhr morgens runterwürgt, selbst wenn er sonst niemals auf die Idee käme, um diese Zeit irgendwelche Schaumweine zu sich zu nehmen.
Jetzt wird es auch schon höchste Zeit, sich schnell etwas zu Lesen zu besorgen in das man sich konzentriert vertiefen kann, denn jetzt werden die Sicherheitsvorkehrungen demonstriert. Wer da zuschaut, verrät sich als unverbesserliches Grünhorn. Jene mühsam aufgebaute Nonchalance des Vielfliegers, jenes lässige „Ich-hab-das-schon-tausendmal-gemacht-und-es-ödet-mich-an“, das den erfahrenen Weltreisenden auszeichnet und ihm Heerscharen begeisterter Groupies mit leuchtenden Augen, sowie Einladungen zu Brücken– bzw. Autobahnabschnittseröffnungen einbringt - ein einziger Blick zur Sicherheitsdemonstration, und alles fiele wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Außerdem - mal ehrlich, wer weiß nicht, wie man einen Sicherheitsgurt anlegt?
Dann erklingt endlich das Donnern der Motoren und übertönt die lästigen Laute aus dem hinteren Teil des Flugzeuges, wo das übereinander gestapelte Volk sich gerade Nackenstarre, Bandscheibenvorfälle und Thrombose holt.
Es gibt allerdings ein Wort, das jedem Business-Reisenden den blanken Horror ins Gesicht treibt, während in den Augen des gemeinen Touristen-Klasse-Prolos ein eigentümlich hoffnungsfrohes Glühen aufflackert. Der göttliche Ausgleich. Der Lottogewinn, der die Normalsterblichen zur elitären Klasse hinaufkatapultiert. Sein Name ist: Upgrade!
Manchmal, in ganz, ganz seltenen Fällen, lächelt die Glücksfee einem der unzähligen Nobodys in der ewigen Schlange vor dem Check-in milde zu. Und dann, in diesem unwahrscheinlich seltenen Fall, der noch seltener ist, als dass der Blitz einen niederstreckt, dann ist die Holzklasse überbucht und man wird „upgegradet“. Bizarr wird es, wenn man zwar als „Upgeradeter“ in der Businessklasse fliegt, aber trotzdem Holzklasse-Mahlzeiten serviert bekommt. Während rings um einen alles fürstlich speist, erhält man selber ein eingeschweißtes Brötchen - auf dass jeder hier wisse, DER DA weilt nur absolut ausnahmsweise unter uns, er ist und bleibt ein Paria und gehört nicht zu jenem wohlduftenden, exklusiven Kreis, der ordentlich dafür gezahlt hat.

Eine Leseprobe
Es war exakt 15.41 Uhr als Artur die beschriebene Imbissbude entdeckte.
Um 15.42 saß er auf einem geklauten Motorrad, verfolgte einen langhaarigen Freak, wurde selbst von einer Bande indischer Mafiosi gejagt, während im Hintergrund besagte Imbissbude in einem Meer von Flammen zu Geschichte wurde. Und das kam so:

Es war Mittwoch, und Mittwoch war nicht gut. Mittwochs fand der legendäre Flohmarkt am Strand von Ajuna statt, ein Ereignis, welches Touristen aus dem ganzen Land in den kleinen Ort trieb. Das war natürlich erst mal gut für’s Geschäft. Irgendwann hatten die Touristen Hunger, und weil die meisten Pauschal-Urlauber aus den Hotelburgen von Calagunte und Baga-Beach der indischen und auch der portugiesisch beeinflussten Küche Goas misstrauten, war Bärs Imbissbude Mittwochs immer rappelvoll. Insofern war Mittwoch gut.
Nicht gut am Mittwoch hingegen war ein nervtötendes Ritual: Shaki, Boss der örtlichen Bande indischer Gangster, Kleinganoven, Erpresser und Schutzgeldeintreiber, sowie Träger eines außerordentlich öligen Mittelscheitels suchte sich regelmäßig den Mittwoch für seinen Besuch in Bärs Bude aus. Dass Bär Schutzgeld zahlen musste, damit er in dieser 1a Lage in Ruhe seine Würstchen verkaufen konnte, sah er sogar noch irgendwo ein. Was er aber partout nicht einsah - und was ihm furchtbar auf die Nerven ging - war Shakis felsenfeste Überzeugung, Bärs Currywurst sei Mist.
Bärs Currywurst war nämlich okay. Nicht toll, nicht überragend, aber okay. Wie halt eine typische Currywurst so schmeckt. In Deutschland schmeckt. Aber dies war nicht Deutschland, sondern Indien und Inder wie Shaki halten sich für die Experten in Sachen Curry. Aus diesem Grund sind für sie alle Nicht-Inder natürlich totale Nichtskönner an der Curryfront.
Jeden Mittwoch fand sich Shaki in Begleitung von zwei seiner „Jungs“ in Bärs Imbissbude ein. Shaki fuhr mit einem ausländischen Geländewagen vor, seine beiden arabischen Schläger, welche auf die praktischen Namen „Nummer Eins“ und „Nummer Zwei“ hörten, kamen auf Motorrädern hinterher. Dieser martialische Auftritt konnte Bär nicht mehr beeindrucken. Nicht nach drei Jahren, in denen Shaki jeden Mittwoch seine Runde machte. Üblicherweise stieg Shaki aus, versuchte finster und gefährlich zu wirken, stiefelte in Bärs Bude und nahm knurrend einen versiegelten Briefumschlag mit der vereinbarten Summe entgegen. Nachgezählt wurde nicht, man war schließlich langjähriger Geschäftspartner.
Und dann bestellte dieser Inder eine Currywurst...
Am Anfang hatte Bär noch beflissen die beste Wurst des Hauses geholt und sich wirklich besonders viel Mühe mit der Zubereitung gegeben. Shaki probierte ein Stück... und spuckte es sofort wieder aus.
„Bär, was hast du dieser Wurst angetan? Das muss besser werden, sonst wirst du davon keine einzige verkaufen!“
Aber da irrte er sich. Bärs Currywurst kam bei den Touristen sehr gut an. Wie die deutsche Bäckerei nebenan hatte auch er eine Marktlücke entdeckt. Trotzdem – jeden Mittwoch spuckte Shaki ein Stück Currywurst durch die Bude und bemängelte mal die Wurst, mal die Zubereitung, aber am allermeisten das Curry. „Für solch ein Curry hätte mein Vater meine Mutter totgeschlagen, Bär, und ich hätte ihm dabei geholfen!“
„Aber das ist wirklich das beste Curry, dass ich auftreiben konnte!“ versuchte sich Bär zu rechtfertigen.
„Willst du damit sagen, mein Vater ist ein Lügner?“

Wie gesagt, im ersten Jahr gab Bär sich noch Mühe, doch das war völlig sinnlos. Zu laff, zu fad... das Urteil fiel jedes Mal vernichtend aus. Bär kreierte für Shaki eine Spezial-Currywurst, mit einem Curry direkt vom Markt in Panaji. Aber keine Chance.
Im zweiten Jahr beschloss er, Shaki zu ignorieren. Wenn’s ihm nicht schmeckte, sollte er’s halt lassen... Doch Shaki schien mittlerweile Gefallen daran gefunden zu haben, jeden Mittwoch ein Stück Wurst quer durch Bärs Räumlichkeiten zu husten. Bär ging sogar dazu über, extra für Shaki einen Spucknapf aufzustellen. Shaki nahm diesen jedoch nie auch nur zur Kenntnis.
Im dritten Jahr nervte es nur noch...
Doch heute – dieser Mittwoch – war der Tag der Rache. Bär hatte lange durchgehalten, aber jetzt war das Maß endgültig voll. Heute würde Bär für Shaki eine Spezial-Currywurst zubereiten; die ultimative Erstschlagswaffe unter den Würsten. Hauptbestandteil der Soße war eine kleine rote Frucht...
Besagte Frucht ist so was wie die „Roten Khmer“ der Chiligewächse, da man das, was sie auf der Zunge anrichtet bestenfalls als „Killing Fields“ bezeichnen kann. Die Schote, nicht größer als ein Daumennagel und dreißigmal so scharf wie eine gewöhnliche Chili, wird von den Indern mit einem Namen tituliert der wörtlich übersetzt bedeutet: „Schlag aufs Ohr der das Trommelfell zerreißt!“ Was ja an sich schon ziemlich bezeichnend ist... Selbst Inder, und die sind einiges gewöhnt, verwenden nur in seltenen Fällen eine winzige Menge davon.
Bär nahm sechs Früchte, steckte sie komplett in einen Mixer, füllte das ganze mit Chilisauce der Marke „Extra-scharf – Vor Kindern sicher verwahren!“ auf und fügte geröstete, zu Pulver zermahlene Kerne von dreizehn roten Chilis hinzu. Das ganze ließ er drei Stunden lang ordentlich einkochen um die Schärfe zu potenzieren. Natürlich trug er dabei ständig eine Schutzbrille, denn hätte er sich auch nur einmal in die Augen gefasst, er wäre auf der Stelle erblindet.
Am frühen Nachmittag stiefelte Shaki in Bärs Laden. Seine Laune war im Keller, da seine Frau ihn gezwungen hatte, ihren verblödeten Neffen Rajnesh in die Lehre zu nehmen, den Sohn ihrer Schwester.Weil Shaki der einzige in der Familie war, der es zu was gebracht hatte, sollte Rajnesh jetzt bei ihm das Handwerk lernen. Leider war Rajnesh ein unverbesserliches Weichei, das in jeder freien Minute ins Kino rannte um Schnulzen aus Bollywood zu gucken und zu Hause Blumen zwischen Buchdeckeln presste. Es war eine Schande.
Shaki hatte Rajnesh angewiesen, unauffällig im Hintergrund zu bleiben und vor allem den Mund zu halten. Zusammen mit den Schlägern Eins und Zwei betraten sie die Imbissbude. Shaki nahm wie üblich den Umschlag und steckte ihn ein.
„Bär! Einmal Currywurst!“ eröffnete Shaki das all-mittwöchliche Ritual.
Bär war verdächtig gutgelaunt. „Kommt so-fo-hort!“ Lächelnd machte er sich an die Zubereitung. „Heute wird sie dir schmecken, ich habe extra für dich ein Spezialcurry gemacht!“
Shaki holte einen Taschenkamm heraus und begann sich die öligen, mittelgescheitelten Haare zu kämmen. „Das hoffe ich, Bär. Das hoffe ich wirklich!“
„Darf’s ein bisschen mehr Soße sein?“ Bär blickte ihn erwartungsvoll an.
„Nur zu. Bei deinen faden Würsten darf man schon froh sein, wenn man überhaupt was schmeckt!“
Bär klatschte ihm eine Extra-Kelle über die Wurststücke. Wäre Shaki aufmerksamer gewesen, hätte er die toten Fliegen bemerkt, welche rings um den Saucentopf lagen. Die unglücklichen Insekten hatten den Fehler begangen, durch den aufsteigenden Dampf aus dem Topf zu fliegen.
„So, guten Appetit!“ Bär stellte dem mürrisch blickenden Gangsterboss den Blechteller hin.
„Danke! Weißt du, Bär, Curry zu machen... also wirkliches Curry...,“ er nahm einen Bissen, kaute kurz und schluckte, „...das ist ein Geheimnis, dass nur wir In...“
Er erstarrte mitten im Satz und gaffte Bär mit einem Ausdruck grenzenloser Verblüffung an. Rajnesh, der bemerkte, dass irgendwas aus dem Ruder lief, tippte ihm von hinten auf die Schulter. „Onkel, alles in Ordnung?“
Doch Shaki stand wie versteinert. Merkwürdige Farbspiele liefen in Wellen über sein Gesicht. Bär bekam ein ungutes Gefühl in der Magengegend. Sollte er es vielleicht doch ein klitzekleines bisschen übertrieben haben?
„Mpflgr...!“ brodelte es aus dem stocksteifen Gangsterboss hervor. Jetzt traten auch Schläger Eins und Zwei an ihren Chef heran. „Was hast du gesagt?“
Shaki öffnete den Mund und stieß einen Schrei aus, bei dem die Gläser in Bärs Schrank klirrten, und der noch bis nach Baga-Beach zu hören war. Dann machte er einen gewaltigen Satz über die Theke und stülpte den kompletten Kopf in Bärs mit Wasser gefülltes Spülbecken. Rajnesh und die Schläger sprangen hilflos hinterher und versuchten heraus zu kriegen, was um Krishnas Willen eigentlich mit ihrem Boss los war. Die wenigen Sekunden, die Shaki zum Luftholen auftauchte, waren nicht besonders aufschlussreich, denn sein Artikulationsvermögen hatte sich komplett verabschiedet. Er hechelte, nuschelte, streckte die Zunge raus und versuchte sie mit den Fingern wiederzubeleben.
„Mingt him um!!“ schrie er hysterisch.
„Was?“ fragte Nummer Eins hilflos, „Wir können dich nicht verstehen!“
Hektisch fuchtelte er in Richtung Bär, tauchte den Kopf ins Wasser, kam luftschnappend wieder hoch und deutete noch mal, noch energischer auf ihn.
„Huhingen - hi ollt hin huhingen!!!“
Rajnesh rätselte. „Ich verstehe nichts!“
„Ich glaube, er meint umbringen!“ platzte Bär heraus und biss sich sofort auf die Zunge.
Shaki nickte hektisch und machte das „Daumen hoch“ Zeichen.
Nummer Zwei haute sich mit der flachen Hand vor die Stirn. „Ach sooo, umbringen!“
„Heau – haltmahen, erhiehen, herhükeln!“
Rajnesh freute sich. „Ich versteh’s: Haltmachen, erziehen, verkückeln!“
„Was soll denn bitte verkückeln sein?“ wunderte sich der Schläger. Shaki schüttelte wütend den Kopf und gab seinem Neffen einen Tritt.
„Ich vermute,“ sagte Bär, nahm eine Zigarette der Marke „Gold Flake“ hervor und zündete sie sich mit einem Zippo an, „er meint: Kaltmachen, erschießen, zerstückeln.“
„Ach sooo!“ sagten die beiden Gangster und der Azubi-Gangster unisono, und Shaki nickte erleichtert.
„Da hätten wir auch wirklich selbst draufkommen können!“. Nummer Eins holte kopfschüttelnd eine automatische Pistole hervor.
Bär, der noch immer das brennende Feuerzeug in der Hand hielt, stellte den Wert seiner Imbissbude in Gedanken gegen den seines eigenen Lebens, wägte kurz seine Chance ab machte sich sprintbereit – und warf das brennende Zippo in hohem Bogen in Richtung der offenen Friteuse. Alle starrten dem Feuerzeug entsetzt nach. Sich immer wieder in der Luft überschlagend, trudelte es auf das kochende Fett zu. Ein Gangster sprang mit einem Schreckensruf - „Naaaiiinnnn!!!“ - hinterher, versuchte es noch im Flug zu fangen, doch er griff daneben und ließ sich aus dem Sturz in Deckung fallen.
Blubb...
Nichts.
Absolut nichts geschah. Die Inder, die automatisch Schutz gesucht hatte, blickten sich verwundert an.
„Warum ist es nicht explodiert?“ fragte Rajnesh und steckte vorsichtig den Kopf hinter der Theke hervor.
Nummer Zwei rappelte sich mühsam auf. „Woher soll ich das wissen, vielleicht war das Fett nicht heiß genug?“
„Ist doch Unsinn, du siehst doch, wie das brodelt. Eigentlich müsste es sofort hochgehen!“ sagte Nummer Eins und entsicherte seine Waffe. „Hey, Bär, wie heiß ist das Fett?“
Bär der immer noch auf den Knien lag, blickte die Killer verwirrt an. „Na ja, also ich denke, dass es kocht...!“
Triumphierend drehte sich Nummer Eins zu Nummer Zwei. „Aha, siehst du, das Fett brennt dann, wenn’s nahe am Siedepunkt ist. Siehst du?“
„Ja, aber es brennt ja eben nicht!“ gab Nummer Zwei zu bedenken.
Shaki platze der Kragen. „Hingt hin hendlich hum!“
Rajnesh schielte vorsichtig über den Rand der Friteuse und entdeckte das Zippo im Fett. „Ich glaube, das Feuerzeug ist im Flug ausgegangen. Onkel, wenn er tot ist, darf ich’s dann haben?“
Er nahm eine Wurstzange und fischte das triefende Feuerzeug aus dem Fett.
„Das ist doch jetzt sowieso kaputt!“ sagte der Gangster, zielte mit der Waffe auf Bärs Stirn und spannte den Hahn.
Rajnesh ließ das Zippo über der Friteuse abtropfen. „Mal gucken, vielleicht funktioniert’s ja noch!“
- Zipp -
KAWUMMMM!!!!
In einem orangeroten Feuerball zerriss es die Friteuse. Heißes Fett spritzte durch die Luft, Flammen griffen sofort auf die gesamte Bude über. Alle Anwesenden wurden von einer Druckwelle zu Boden geworfen. Kriechend gelang es Bär, aus der Eingangstür der brennenden Hütte zu entkommen. Da die Flammenwand quer durch seine Bude verlief, mussten Shaki und seine Männer ein Fenster der Rückwand einschlagen und dort rausklettern. Als sie hustend auf der Vorderseite der Hütte ankamen, konnten sie gerade noch sehen, wie sich Bär mit seinem Motorrad aus dem Staub machte. Aber was sie nun wirklich staunen ließ, war die Tatsache, dass tatsächlich jemand die Stirn hatte, das Motorrad von Nummer Zwei direkt vor ihrer Nase zu klauen und damit Bär hinterher zu fahren – ein Kerl, den sie noch niemals zuvor gesehen hatten und der offenbar keine Ahnung hatte, dass er sich mit dieser Tat soeben ein sicheres Ticket fürs Grab besorgte. Niemand, absolut und ohne Ausnahme niemand, fasste die Yamaha von Nummer Zwei an!!! Das war genau um 15.42 Uhr.

Für Artur stellte sich die Situation folgendermaßen dar:
Kaum war er angekommen und die Autorikscha weg, flog die kleine Imbissbude in die Luft. Heraus kroch ein Mann mit langen Haaren, Bart, Lederhut und Lederweste, tätowierten Armen und einem Hustenanfall. Exakt so – bis auf den Husten – hatte Dieter ihm Bär beschrieben, was darauf schließen ließ, dass es sich hierbei tatsächlich um Bär handelte. Doch bevor Artur ihn ansprechen konnte, war dieser schon auf ein Motorrad gesprungen und gab Vollgas. Die einzige Chance diesen Bär noch einzuholen war also, sich eines der anderen Motorräder vor Bärs brennender Bude zu schnappen und ihm hinterher zu fahren.

Eine zweite Leseprobe

Alexander von Eisenhart-Rothe

"Es ist böse, es ist unfassbar lustig - also ist es wahr..." Bastian Pastewka